Abgrenzung zur Psychotherapie
Aufgrund des hohen Bedarfs an psychischer Unterstützung wird Ergotherapie häufiger verordnet, um die Versorgungslücke zu schließen, die durch einen Mangel an freien Psychotherapieplätzen entsteht. Gerade deshalb ist es wichtig die Unterscheidung zwischen den beiden Professionen deutlich zu machen. Im Idealfall ergänzen sich Ergotherapie und Psychotherapie, um Patient:innen bestmöglich bei ihren Herausforderungen zu begleiten.
Um Psychotherapeut:in zu werden ist der Bildungsweg grundsätzlich länger. Der Bachelor in Psychologie (B.Sc. Psychologie) wird nach drei Jahren erlangt, dem ein zweijähriger Master folgt und eine anschließende staatliche Prüfung zur Behandlungszulassung. Danach beginnen fünf Jahre Approbation in Kliniken und ambulanten Settings, unter Führung der Bezeichnung »Psychotherapeut:in in Weiterbildung (PiW)«. Erst nach der Approbation dürfen Psychologische Psychotherapeut:innen in eigener Praxis arbeiten. Das heißt bis eine Abrechnung mit den Krankenkassen und in eigener Praxis möglich ist, dauert es insgesamt 10 Jahre. Psychotherapie ist kein gesetzlich geschützter Begriff, wenn auch Psychotherapie nur von Psychotherapeut:innen mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann.
Zugangsunterschiede
Formal ist der Zugang zur Ergotherapie ein anderer, als bei der Psychotherapie, da Ergotherapie ein Heilmittel ist, das ärztlich verordnet wird. Als Patient:in erhalten Sie eine Heilmittelverordnung (umgangsprachlich Rezept) für Ergotherapie. Theoretisch kann jeder Arzt/Ärztin eine Heilmittelverordnung ausstellen. Praktisch verordnen eher Hausärzt:innen, Allgemeinmediziner:innen, Neurolog:innen, Psychiater:innen und inzwischen auch Psychologische Psychotherapeut:innen. Theoretisch gibt es keine Begrenzung der Anzahl an Heilmittelverordnungen, vorausgesetzt Ihnen werden weitere Heilmittelverordnungen ärztlich ausgestellt und Ihre Krankenkasse genehmigt diese. Dennoch macht es Sinn regelmäßig zu überprüfen, ob die Behandlung noch notwendig oder zielführend ist. Ergotherapie kann auch privat entlohnt werden.
Wenn Sie Psychotherapie in Anspruch nehmen möchten, gibt es nach dem Erstgespräch einige probatorische Sitzungen (Probetermine), die zum Kennenlernen dienen. Dann wird ein Antrag bei der entsprechenden Krankenkasse und damit die Genehmigung für eine Psychotherapie gestellt. Die genehmigten Stunden variieren, sind aber zeitlich begrenzt.
Inhaltliche Unterschiede
Der Blickwinkel der Ergotherapie liegt vornehmlich auf der Handlungsfähigkeit im Alltag. Sprich im Fokus ist, welche Betätigungen sind für Sie wichtig, aktuell problematisch oder was wünschen Sie sich (wieder) anders tun zu können? Betätigung bedeutet jegliches Handeln, Tun, Aktivität, Schaffen oder Leisten, dass für Sie eine Bedeutung hat. Die Betätigungsbereiche sind dabei die Selbstversorgung, Freizeit oder Produktivität, unter Berücksichtigung der sozialen, kulturellen, institutionellen und physischen Umwelt. Dem kanadischen Model der Ergotherapie CMOP-E (Canadian Model of Occupational Performance and Engagement) liegt die Theorie zugrunde, dass jede Betätigung geleitet ist von der sogenannten Spiritualität des Menschen. Spiritualität beinhaltet alles was das Wesen des Menschen ausmacht: Werte, Ziele, Wünsche, Überzeugungen, Willen, Glauben, etc. Die Spiritualität wirkt sich aus, auf die kognitiven (Verstand), physischen (Körper) und affektiven (Emotionen) Anteile des Menschen aus.
Um die Handlungsfähigkeit zu unterstützen wird in der Ergotherapie geklärt, auf welcher Ebene diese Einfluss nehmen kann. Mal angenommen es herrscht in der Wohngemeinschaft eines Klienten ständig Streit und sein Anliegen ist, einen ruhigen Rückzugsort zu haben. In diesem Fall könnte die Ergotherapie im Bereich der physischen Umwelt ganz pragmatisch unterstützen einen Auszug zu planen oder bei der Person ansetzen, um den Anteil an der Streitkultur zu beleuchten und alternative Kommunikationswege auszuprobieren. In der Psychotherapie könnte ein Ansatz sein, frühe Beziehungsmuster stärker zu analysieren und Ursachen zu finden.
Auch wenn sich die Ausbildungsinhalte teilweise überschneiden, lässt sich allein aus der Länge der Ausbildung ableiten, dass Psychotherapeut:innen über mehr Fachwissen zur Psyche des Menschen verfügen. Unterscheidungsmerkmale sind sicherlich, dass die Studieninhalte Psychoanalyse und Tiefenpsychologie bei Ergotherapeut:innen nicht vorgesehen sind. Daher arbeiten Ergotherapeut:innen eher verhaltenstherapeutisch, gegenwarts- und zukunftsgerichtet an den Anliegen der Klient:innen, als ursachenforschend. Aber auch im Rahmen der Ergotherapie kann es notwendig sein, etablierte Handlungsmuster oder Widerstände zu ergründen, um Veränderung zu ermöglichen. Die Methoden beider Professionen können sich durchaus ähneln oder gleichen - der Blickwinkel ist entscheidend.